Beitrag von Holger Wahl
An der Gemeindeversammlung des 1. Oktober 2015 war das Thema nicht einmal traktandiert, dennoch nahm es unter der Rubrik „Verschiedenes“ die meiste Zeit in Anspruch und liess die Emotionen hochkochen: das öffentliche, für den Nutzer kostenlose WLAN in der Gemeinde.
Hintergrund
Für das Dorffest im September 2015 sollte ein online-Festführer dafür sorgen, dass Besucher und Einheimische sich über ihr Smartphone alle Informationen zu Terminen, Anlässen und Lokalitäten würden informieren können. Da unsere Gemeinde eine der am schlechtesten für LTE oder überhaupt Handy-Telefonie abgedeckten Gemeinden im ganzen Kanton ist, der Online-Festführer also im Zweifelsfalle kaum erreichbar sein würde, wurden Alternativen gesucht.
Die naheliegenste Variante war natürlich, ein sowieso bestehendes Netzwerk aus WLAN-Knoten zu nutzen. Denn UPC Cablecom, die Firma, über die ein Grossteil der Röschenzer Haushalte nicht nur Fernsehen, sondern auch Internet beziehen, hat dadurch nicht nur in vielen Haushalten über das ganze Dorf verteilt jede Menge WLAN-Funkstationen, sondern auch eine Besonderheit: den Free-Access-Point, den freien Zugangspunkt.
Der freie Zugangspunkt
Diese Zugangspunkte sind Bestandteil jedes Cablecom-Routers bei uns daheim: jeder dieser Router besitzt einerseits den WLAN-Sender, den wir privat nutzen (können), zusätzlich ist immer auch ein zweiter öffentlicher Sender enthalten, den man auch gut sehen kann, wenn man mit dem Smartphone einmal die WLAN-Sender in der Wohnung überprüft. Dort taucht dann auch das FREE von UPC Cablecom auf.
Laut Cablecom ist dieser zweite Zugang vollkommen unabhängig von unserem privaten WLAN, es könne nie und nimmer hierüber auf unsere privaten Daten zugegriffen werden, und auch die Bandbreite könne nicht eingeschränkt werden (mein Anschluss wird angeblich nicht langsamer, wenn jemand anders auf dem Free-Zugang einen Film herunterläd).
Das Unangenehme ist, dass der Free-Zugang ab dem Moment der Installation des Routers zugänglich ist. Man muss als zahlender Inhaber eines Cablecom-Routers diesen freien Zugang also bewusst abschalten, wenn man ihn nicht haben will. Gefragt werden wir nicht, es steht im Kleingedruckten.
Und wirklich „free“ ist der Zugang auch nicht: denn nutzen können ihn nur Cablecom-Kunden, die auf diese Weise auch ausserhalb ihrer Wohnung auf ihr Netzwerk zugreifen können. Wer kein Cablecom-Kunde ist, hat also von Free nicht viel.
Free? Free! (oder fast)
Die nächste Frage war also: wie macht man dieses sowieso vorhandene Netz nun wirklich „free“, also für alle kostenlos zugänglich? Kein Problem, sagt da Cablecom, wir sind schliesslich käuflich, zahlst Du uns eine Stange Geld, machen wir auf das Schloss und jeder kann surfen, soviel er will! Guckst Du!
Dem ging eine Messung der Cablecom voraus, um festzustellen, wo es in diesem schönen Netzwerk Lücken gibt, d.h. wo kein privater Cablecom-Router mit seinem freien Zugangspunkt eine ausreichende Sendeleistung liefert. Das sind alleine schon auf dem mittleren Stück unserer Dorfstrasse zwischen 5 und 10 zusätzliche Hotspots, die eingerichtet werden müssten.
Genaue Kosten hat der Gemeinderat dazu nicht veröffentlicht, da wohl noch nicht ganz klar ist, wieviele zusätzliche Punkte es tatsächlich braucht. Ungefähre Kosten jedoch sind bekanntgegeben worden: rund CHF 25’000.00 für die erstmalige Einrichtung und vor allem für die Freischaltung des Netzwerkes für die Allgemeinheit (also nicht nur für Cablecom-Kunden), dazu eine vertragliche Bindung von 3 Jahren mit weiteren CHF 4’000.00 pro Jahr. Macht zusammen rund CHF 37’000.00, und das für nur 3 Jahre.
Abdeckung
Eine schöne Karte von Röschenz zeigte dann die Abdeckung von Cablecom in Röschenz: fast jedes Gebäude scheint einen Zugang zu haben, die Kreise, die jedes einzelne WLAN symbolisierten, decken die Gemeinde praktisch vollständig zu. Dies ist jedoch nur eine stark vereinfachte Sicht der Dinge: diese Kreis gibt es in der Realität nämlich entweder gar nicht, weil jeder Besitzer eines Anschlusses den Free-Access-Point einfach abschalten kann. Oder er ist, wenn es ihn denn gibt, kein so schönes gleichmässiges Feld, wie es auf der Karte dargestellt wird.
Die Anschlüsse und damit die Sender befinden sich ja in der Regel im Haus. Die Sendeleistung eines WLAN-Senders nimmt, wie alle elektromagnetischen Wellen, mit der Entfernung im Quadrat ab: verdoppele ich meinen Abstand zum Sender, habe ich nur noch 1/4 der Leistung. Vervierfache ich den Abstand, ist es nur noch 1/16, und so weiter. Im Fall meines Hauses bedeutet das, dass ich schon auf der Terrasse kaum noch Empfang habe, auf dem öffentlichen Weg vor dem Haus überhaupt keinen mehr. Auf der Karte deckt die grüne Scheibe jedoch den gesamten Gehweg vor dem Haus perfekt ab.
Ähnlich ist es bei den meisten Liegenschaften in der Gemeinde. Wenn überhaupt noch ein Signal im öffentlichen Bereich ankommt, dann befindet es sich auf ähnlich traurigem Niveau wie das 4G/LTE-Signal unserer Swisscom-Antenne. Mit dem Unterschied, dass wir von Swisscom Geld bekommen für den Antennen-Standort, bei Cablecom aber rund 37’000 Franken zahlen dürften in den kommenden 3 Jahren.
Und für was? Das kann ein jeder einmal selber probieren: gehen Sie mit Ihrem Smartphone durch die Gemeinde und schauen Sie, wo Sie ein einigermassen brauchbares Signal von UPC Cablecom FREE erhalten. Es wird ein sehr ernüchternder Spaziergang werden. Und das dürfte der optimale Zustand sein: wenn mehr Einwohner feststellen, dass sie die Öffentlichkeit über ihre Installation mit kostenlosem Internet versorgen (ihr eigenes Internet bleibt notabene kostenpflichtig), wird noch der eine oder andere Punkt durch Abschaltung verschwinden.
Kontrolle
Man mag das WLAN für sinnvoll halten oder nicht, ein wichtiger Punkt in vielen Familien ist die Kontrolle der online-Zeiten und Tätigkeiten der Kinder. Natürlich hat heute jedes Primitiv-Smartphone einen Internetzugang, so dass jedes Kind mit Smartphone theoretisch online surfen kann, soviel es mag. In der Regel haben die Smartphones der Kinder jedoch keine XXL-Datenverträge, sondern entweder Volumen- oder Leistungsgrenzen, die unbegrenztes Surfen massiv einschränken. Die grenzenlose Freiheit von Swisscom / Sunrise / Salt etc. existiert also nur auf dem Papier, in unserer Gemeinde mangels vernünftiger Abdeckung noch weniger als im Rest der Welt.
In vielen Familien wird das Internet also zeitlich begrenzt, häufig vor allem nachts abgeschaltet, wegen unnötiger Strahlung, aber auch damit die Kinder nicht unter der Bettdecke nächtelang kommunizieren (und meine Eltern dachten, heimlich Lesen wäre schlimm, weil man zu wenig Schlaf kriegt… heute wären die meisten Eltern froh, die Kinder würden nur lesen!).
Mit einem öffentlichen WLAN werden die Vereinbarungen innerhalb der Familie ad absurdum geführt: ist das WLAN zu Hause aus, geht man eben auf den Dorfplatz oder zum nächsten funktionierenden Free-Access-Point, und schon ist man wieder online.
Man mag diese Kontrollen für sinnvoll halten oder nicht, es geht jedoch nicht an, dass ein Gemeinderat einen so kritischen Punkt einfach über die Köpfe der Eltern und Einwohner hinweg entscheidet, ohne dass diese via Gemeindeversammlung ein Mitspracherecht daran haben.
Strahlung
Dies ist sicherlich das am stärksten emotional besetzte Thema eines öffentlichen WLAN: die Einen halten Strahlung für Kukus und belegen das auch mit schönen Grafiken, die zeigen, dass elektromagnetische Strahlung ein normaler Bestandteil des Spektrums an Wellen ist, das uns umgibt, vom Licht über die natürliche Hintergrundstrahlung bis zu Radio, Fernsehen und den vielen normalen Telefonen im Haushalt ohne Kabel (DECT). Die Anderen belegen durchaus auch sachlich, dass Strahlung je nach ihrer Stärke und Form nachweisbar schädlich ist. Dazu kommt noch die häufig abstrakte Angst vor zusätzlicher Strahlenbelastung, zumal wir in der Schweiz im europaweiten Vergleich schon heute auffällig erhöhte Raten bei einigen Krebsraten aufweisen wie dem Hodenkrebs, ohne dass bisher ein Grund dafür gefunden werden konnte.
Ich selber bin kein Verächter von WLAN: wir haben es daheim, rund um die Uhr, ich habe es im Büro, es ist Teil meiner Arbeit und unseres Lebens. Ich habe jedoch Geschäftspartner, Chefs grosser technischer Unternehmungen, Ingenieure und Menschen, denen eine auch nur ansatzweise esoterische Anwandlung definitiv vollkommen fremd ist. Die jedoch ganz eindeutig unter Schlafstörungen leiden, wenn ein WLAN in ihrem Bereich aktiv ist, auch wenn sie es nicht wissen. Für solche Menschen ist ein allgemeines WLAN etwas, was ihr Wohlbefinden genauso einschränkt wie für andere eine Autobahn vor dem Schlafzimmerfenster. Unabhängig davon, ob man Strahlung durch WLAN-Hotspots für kritisch oder gefährlich hält oder nicht.
Keine noch so schöne Grafik (die zudem nie den Einzelfall wiedergibt, sondern in der Regel bunte Bilder eines WLAN-Anbieters sind), keine noch so fundierte Erklärung wird Menschen, die unnötige Strahlung vermeiden wollen oder gar unter ihr leiden, dazu bringen, ihre Ansicht als Hokuspokus abzutun und voll Freude der neuen Freiheit des unbegrenzten Internets zuzustimmen. Sie ungefragt zu übergehen zeugt von einiger Gleichgültigkeit den Meinungen und Sorgen unser Mitmenschen gegenüber.
Standort-Attraktivität
Eine Erhöhung der Standort-Attraktivität war einer der Punkte, mit denen der Gemeinderat das WLAN in einem Zeitungsartikel anpries. Abgesehen von der alles andere als lückenlosen Abdeckung des Netzes: was genau für einen Vorteil hat der Standort Röschenz von einem öffentlichen WLAN? Wir wirkt sich das aus? Ziehen wir gute Steuerzahler an, weil sie nun am Dorfplatz erfolgreich Aktienkäufe online durchführen können? Siedeln wir zahlungskräftige Unternehmen, zukunftsträchtige Startups und moderne Dienstleister an, weil sie auf dem Heimweg noch schnell die letzten Lagerbuchungen durchführen können? Wohl kaum.
Alternative
Nachvollziehbar ist der Wunsch nach einem öffentlichen WLAN an einem zentralen Punkt der Gemeinde: dem Dorfplatz. Wer das Postauto verpasst hat, wer zu früh ist und schauen will, ob es eine alternative Zugverbindung gibt, hier gibt es eine durchaus sinnvolle Verwendung für einen öffentlichen Hotspot. Dieser jedoch könnte für weit geringere Kosten im Rahmen der Infrastruktur der Gemeindeverwaltung installiert werden: damit behält die Gemeinde auch die Kontrolle über den Zugang, zudem kann die Leistung und die Abdeckung genau definiert werden. Dieser Knoten würde Reisenden wie Einheimischen nützen, ohne gewaltige Kosten zu verursachen.
Fazit
Persönlich habe ich kein Problem mit WLAN, ich nutze es privat wie beruflich und bin froh, wenn ich unterwegs Empfang habe. Eine generelle Ablehnung öffentlicher WLAN oder esoterische Probleme mit Strahlung lassen sich mir also kaum unterstellen.
Der Gemeinderat mag rechtlich im Rahmen seiner Finanzkompetenz gehandelt haben, dennoch halte ich zwei Punkte für kritisch, die meines Erachtens beide vollkommen vernachlässigt bzw. falsch eingeschätzt wurden:
1. Mitbestimmung
Die Tatsache, dass der der Gemeinderat in einer ganz offensichtlich kritischen Sache mindestens 37’000 Franken ausgibt, ohne dass den Einwohnern ein Mitspracherecht eingeräumt wird, ist mehr als beschämend. Zumal jedem Menschen klar sein müsste, dass öffentliches WLAN nicht nur eine Frage der Finanzkompetenz ist, sondern ein emotional hoch brisantes Thema, das Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung genauso betrifft wie Ängste hinsichtlich Gesundheit und Wohlbefinden. Es spricht nichts dagegen, ein temporäres Netzwerk für das Dorffest zu organisieren. Ein über das gesamte Gemeindegebiet ausgeweitetes WLAN kann und darf schlichtweg nicht ohne Mitsprache der betroffenen Bevölkerung durchgeführt werden.
2. Kosten-Nutzen
Steht den zu erwartenden Kosten nun ein entsprechender Nutzen gegenüber oder nicht? Erhalten wir eine Leistung, für die wir auch aus privater Tasche den Gegenwert eines Mittelklassefahrzeuges zu zahlen bereit wären?
Ich denke nicht: es gibt, da sich das Netz weitgehend auf private Internet-Router stützt, keine Garantie, weder für das Vorhandensein einer funktionierenden Abdeckung, noch für deren Qualität. Jeder Knoten kann nach Belieben und freiem Willen seines Besitzers einfach abgeschaltet werden, ohne dass die Verpflichtung zur vollständigen Netzabdeckung durch Cablecom eingefordert werden kann.
Es besteht auch keine sachliche Notwendigkeit für ein flächendeckendes WLAN in der Gemeinde: weder verfügen wir über ein Messegelände oder eine komplexe Freizeit- oder Geschäfts-Infrastruktur, durch die ein WLAN den Weg weisen müsste, noch benötigen Touristen in grossen Mengen ein solches, genauso wenig wie potentielle Kunden unserer Unternehmen. Ausser ein paar Wanderern und einigen Jugendlichen in der Freizeit dürfte kaum ein messbarer Bedarf nach flächendeckendem öffentlichen WLAN in unserer Gemeinde bestehen. Ob 37’000 Franken dafür sinnvoll eingesetzt sind, darf bezweifelt werden.
Es bleibt also der Eindruck, dass hier ein Schnellschuss auf Kosten der Röschenzer Steuerzahler produziert wird.
Dank dem Antrag aus der letzten Versammlung werden wir im November nun doch über das Zustandekommen des öffentlichen WLAN in der Gemeinde abstimmen können. Man darf sich fragen, ob es sinvoll ist, dass unser Finanzschef die steigenden Kosten der Bildung, der sozialen Wohlfahrt und der vom Kanton verursachten Kosten beklagt, um im nächsten Augenblick 37’000 Franken (oder mehr, plus rund 4’000 Franken in jedem Folgejahr) auszugeben, weil jemand es cool finden könnte, ein WLAN im Dorf zu haben.
Selbst wenn der grösste Teil des Geldes bereits vertraglich fest vergeben wäre und eine Ablehnung das Geld nicht zurückbrächte: alleine aus Respekt vor denen, die in der Erziehung ihrer Kinder selbst entscheiden möchten, die gegenüber elektromagnetischen Wellen empfindlich reagieren oder einfach Sorgen um ihre Gesundheit haben, sollte man das Geld im Fall einer Ablehnung einfach verloren geben. Es darf in diesem Fall auch keine Salamitaktik geben, mit der das Projekt durch Aussitzen dennoch einfach bestehen bleibt.
Und wenn die Allgemeinheit das WLAN wünscht: dann ist der Entscheid legitimiert. Dann sollte er jedoch technisch so ausgeführt werden, dass eine wirklich flächendeckende, nicht von einzelnen Einwohnern abhängige Abdeckung des WLAN umgesetzt wird. Und in diesem Moment darf man sich auch fragen, ob dann nicht eine stärkere Swisscom-Antenne die bessere Lösung wäre.
Holger Wahl
Ist etwa die Finanzkompetenz des Gemeinderates zu hoch?