Die Primarschule und die Läuse.

Oder: von der Würde des kleinen Menschen.

Wer kennt das nicht: Lausalarm! In jeder Schule, in jedem Kindergarten, eigentlich überall, wo Kinder spielen, die Köpfe zusammenstecken (!), herumtoben, da zeigt sich die Lebensfreude früher oder später im Nissenkamm: die Läuse sind wieder da. Nicht, dass sie wirklich einmal ganz weg gewesen wären, aber zumindest hat niemand nach ihnen gesucht, also hat man sie auch nicht gefunden.

Läuse, Blutsauger, die auf mangelnde Hygiene hindeuten, auf Dreck, Unsauberkeit. Kleine Monster, den meisten wohl bekannt aus Kriegsromanen wie „Im Westen nichts Neues“. Schon beim Gedanken daran fängt es an zu jucken, man prüft heimlich, ob die vermeintlichen Schuppen auf dem Sakko nicht doch junges Leben einer anderen Art in sich tragen könnten.

Als erfahrene Mütter einer ganzen Horde Kinder können wir die jungen Eltern allerdings beruhigen: nein, Läuse verschwinden nie wirklich ganz, irgendjemand bietet immer ein kuscheliges Zuhause für die possierlichen Tierchen, und nein, es ist auch noch niemand elend verendet, ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen, auf dem Schulweg zu einer bleichen Hülle getrocknet, an Pest oder Cholera gestorben.

Und doch schaffen die Läuse in Röschenz etwas, womit wohl keine Laus ernsthaft gerechnet hat: sie stellen Kinder bloss. Vor ihren Gspännli, vor ihren Kollegen, vor ihrer Klasse.

Genau genommen macht das nicht die Laus, sondern die Schule.

Wie kennen wir Älteren das Prozedere? Genau: man wird auf Läuse untersucht und anschliessend erhalten die Eltern des verlausten Nachwuchses eine Information, dass, wie und bis wann sie ihre Lausträger zu behandeln hätten, und… fertig, die Kinder gehen heim, das war’s. Eigentlich ganz einfach, oder? Den meisten Kindern ist das dann schon peinlich genug, wenn sie heimkommen und von ihren Eltern wie Aussätzige behandelt werden, zumindest bis sie sich der Prozedur des Entlausens mittels teurer und grässlich stinkender Shampoos unterzogen haben, was in der Regel ja auch umgehend passiert.

Bei uns handhabt man das neuerdings anders: die Kinder mit Läusen werden während der Schulzeit, nach Information der Eltern, umgehend heimgeschickt, der Rest darf bleiben.

Was macht das mit einem Kind?

Das darf sich jetzt jeder einmal selber überlegen. Was für die Schulleitung und den Schulrat wohl ein reiner Verwaltungsakt ist, der sicherstellt, dass die Lausträger ihren Kopfschmuck nicht noch an „saubere“ Kollegen weitergeben, das ist für manche Kinder ein Spiessrutenlauf, eine öffentliche Demütigung: schau her, Du bist aussätzig, Du musst heim in Dein schmuddeliges Zuhause, und wir sauberen Kinder dürfen bleiben.

Für das Kind ist die Botschaft klar: Du bist anders. Vielleicht nicht ganz normal, vielleicht nicht die hellste Kerze auf der Torte, offensichtlich nicht ganz sauber, egal, irgendwas stimmt mit Dir nicht.

Dabei ist der zentrale Punkt, die wichtigste Eigenschaft, das Ziel jeder Erziehung: das Selbstwertgefühl. Ein gesundes Selbstbewusstsein, eine gute Selbsteinschätzung, ein bewusster Umgang mit Stärken und Schwächen sind das Wichtigste, was man Kindern mit auf den Lebensweg geben kann. Es schützt vor sexuellen Übergriffen genauso wie vor Manipulation, es sorgt für Zufriedenheit, Erfolg, Freundschaften, es macht Rück- und Schicksalsschläge erträglicher, es lehrt den Umgang mit Fehlern.
Selbstbewusstsein, ein gesundes Selbstwertgefühl, genau das wird in der Kindheit zentral geformt. Oder beschädigt.

Das Blossstellen von Kindern ist mit das Schlimmste, was man ihnen antun kann. Wir verurteilen Mobbing, geben Kinder aber gleichzeitig der Lächerlichkeit preis, indem wir sie vor ihren Kollegen heimschicken.

Dabei wäre das Thema ganz einfach zu lösen: untersucht die Kinder am Freitag Nachmittag auf Läuse, schickt sie dann allesamt heim, ohne weitere Information, und sagt den Eltern Bescheid. Stellt Läuseshampoo zur Verfügung, damit auch die Eltern, die erst spät heimkommen und nicht noch einkaufen können, oder für die es zu teuer ist, am selben Abend noch reagieren können. Die Verantwortung liegt bei den Erwachsenen. Lasst die Kinder aus dem Spiel.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch und gerade für kleine Menschen, für Kinder.

Und wenn wir schon dabei sind: Läuse sind mühsam, aber nicht tödlich. Würde die geehrte Schulleitung Themen, die tatsächlich mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sind, ebenso viel Aufmerksamkeit schenken wie der hiesigen Läusepopulation, würden wir als Eltern uns ebenfalls wohler fühlen: ob das die Manipulationen an Velos sind oder die Sturmwarnung, die alle uns bekannten Schulen den Eltern vor Unterrichtsbeginn übermittelt haben, während unsere Kinder sie nach (!) der Schule mit nach Hause brachten, es gibt Dinge, die uns wichtiger erscheinen als Läuse. Die aber nach unserem Eindruck nicht mit der selben Priorität behandelt werden.

Karin Dreier und Katharina Karrer

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